
Glatze oder Perücke?
Welche Auswirkungen das Erscheinungsbild auf zwischenmenschliche Beziehungen hat – meine eigenen Erfahrungen
Es ist gut 9 Monate her, dass ich den Entschluss gefasst habe, mich von meinen restlichen Haaren zu lösen und mir von meinem Freund eine Glatze schneiden zu lassen. Eine Entscheidung, die ich bislang keine einzige Sekunde bereue. Naja, eine wirklich andere Wahl hatte ich auch nicht, aber dennoch stehe ich seitdem zu meiner neuen Frisur und bin offensiv damit in die Welt gegangen. Selbst, als wir durch Marokko gereist sind, habe ich mich nicht versteckt – obwohl ich mir ab und an eine Pause von den Blicken der Menschen wünschte. Bei den Temperaturen dort hätte ich mich allerdings niemals dazu gezwungen, meinen Kopf mit einer Mütze zu kaschieren. Ab und an trug ich eine Cap oder einen Sonnenhut, um mich vor der Sonne zu schützen. Aber niemals deshalb, um mich zu verstecken. Ohne irgendwas auf dem Kopf fühle ich mich einfach frei. Nichts ziept, nichts drückt, keine Haare, die mir ins Gesicht fallen oder mich auf irgendeine andere Art und Weise stören. Besonders beim Sport ist das ein echter Vorteil!
Aber trotz all der Akzeptanz, die ich inzwischen für mein aktuelles Aussehen entwickelt habe, gibt es Momente, in denen man einfach nicht auffallen will. Auch, wenn ich mir vorstellen kann, dass die Menschen es mit ihren Blicken nicht böse meinen. Mir ist bewusst, dass es Aufsehen erregt und man wohl oder übel einfach hinsehen muss. So jedenfalls ist meine Erfahrung, sobald ich unter Menschen bin. Wäre ich an ihrer Stelle würde ich womöglich auch hinsehen und mich fragen, was diese Frau wohl hat? Ist sie krank oder hat sie sich vielleicht selbst zu der Frisur entschieden? Das ist heutzutage ja besonders in Großstädten Gang und Gebe. Alopecia ist außerdem immer noch nicht so weit bekannt, dass Leute mein Erscheinungsbild direkt damit verbinden.
Meine weitere Beobachtung sind Blicke voller Bedauern und bei dem ein oder anderen schwingt sicher auch ein kleines bisschen Mitleid mit. Was sich nicht besonders schön für mich anfühlt. Natürlich kann ich Empathie sehr wertschätzen, aber dennoch ist eine ständige Konfrontation mit solch traurigen Blicken nicht besonders erfüllend. Aufgrund dieser Reaktionen gehe ich davon aus, dass diese Menschen annehmen, dass ich sehr schwer krank bin und vielleicht eine Chemo durchgemacht habe. Aber in meiner eigenen Wahrnehmung sehe ich nicht krank aus. Ja okay, ich habe nirgendwo an meinem Körper mehr Haare…und so ganz normal ist das sicher nicht, aber ich lache sehr viel und denke, meine generelle Erscheinung wirkt sonst nicht besonders krank. Ausgenommen an den nicht so prickelnden Tagen, die es natürlich immer noch gibt – die aber seltener und vor allem weniger schlimm werden! Für den Aspekt der Besserung meiner Symptome gebe ich allerdings sehr viel und lasse es nicht einfach so geschehen. Das ist aber eine andere Geschichte und folgt in einem der nächsten Blogartikel 🙂
Für mich ist es wirklich sehr erstaunlich, wie Menschen auf krank erscheinende Personen reagieren. Ich nehme zum Beispiel wahr, dass Leute – besonders Frauen wesentlich freundlicher zu mir sind, als früher. Sie lächeln mich viel häufiger an, sind gesprächiger oder zuvorkommender. Diese Tatsache ist wirklich sehr angenehm und möchte ich gar nicht mehr missen. Aber sobald ich die Perücke aufsetzen, erlebe ich viel Gegensätzliches. Dinge, die ich nicht glauben würde, wenn ich sie nicht selbst erlebt hätte. Tatsächlich werde ich wie eine andere Person wahrgenommen, wenn ich Haare trage und somit „normal“ aussehe. Menschen sehen nicht mehr direkt, dass ich womöglich eine Krankheit habe und wieder sind es besonders Frauen, die plötzlich gar nicht mehr so nett zu mir sind. Die empathischen Gesichtsausdrücke werden dann zu musternden oder eifersüchtigen Blicken. Es ist bereits vorgekommen, dass mich ein und dieselbe Kassiererin derart konträr behandelt hat, wie ich es nicht für möglich gehalten hätte. Natürlich kann es auch von der Tagesform des Einzelnen abhängen, aber ob ich jemanden extrem freundlich gegenüber trete oder bei einer Frage missbilligend abweise, ist meiner Meinung nach ein Extremfall.
Man selbst spürt ja auch, wie die eigene Wirkung auf sein Umfeld ist und demnach spüre ich auch, wie mich Menschen wahrnehmen. Die Wirkung mit Haaren kann angenehm sein, wenn ich nicht besonders auffallen möchte und . An manchen Tagen kann man die ständigen Blicke besser ab als an anderen. Manchmal möchte man eben einfach nur einkaufen gehen, ohne von zig Augen angestarrt zu werden. Eben einfach nur sein ganz normales Leben führen ohne ständig auf sein Äußeres reduziert zu werden. Wobei ich nicht mal weiß, ob das der richtige Ausdruck dafür ist. Irgendwie werde ich ja auch auf meine Krankheit reduziert. Als wäre ich nur das…
Mir stellt sich die Frage, warum ich so eine extrem andere Außenwirkung spüre? Irgendwie hat doch jeder von uns sein Päckchen zu tragen. Egal, ob man diese Krankheit, den Makel oder das Problem, mit welchem man gerade zu kämpfen hat, direkt sieht oder nicht. Das kann doch nicht der Grund sein, wie man Menschen gegenüber tritt! Sollte nicht jeder das Recht haben, fair, respektvoll und freundlich behandelt zu werden? Natürlich kann man sich bei einer Person – die offensichtlich eine schwere Krankheit durchmacht oder gemacht hat – vorstellen, dass diese einige schlimme Dinge erlebt hat. Aber das sagt doch nicht, dass die Person daneben – der man rein gar nichts ansieht – nicht ebenfalls viel durchlebt hat!
Also, falls du das hier liest, überleg mal, wie du anderen Menschen begegnest. Wie ist die Wirkung von kranken Personen auf dich? Bist du weitaus freundlicher, zuvorkommender oder hilfsbereiter als bei „normal wirkenden“ Menschen? Ich würde mich freuen, wenn du in Zukunft mal darauf achtest, allen – egal welcher Erscheinung – mit einem guten Herzen zu begegnen. Das haben wir alle verdient 🙂
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Liebe Sophia, das ist ein ganz toller Beitrag. LG Heike
Vielen Dank liebe Heike! 🫶🏽