
Mein Rückblick: Ein Jahr ohne Haare
Nun ist es genau ein Jahr her, dass ich mich dazu entschied, meine Haare abzuschneiden und fortan mit einer Glatze durchs Leben zu gehen. Was soll ich sagen? Rückblickend war es die beste Entscheidung, die ich in diesem Moment hätte treffen können. Wie ich ganz zu Beginn dieses neuen Abschnitts bereits in diesem Blog-Artikel schilderte, war es damals natürlich auf eine Art beängstigend und befreiend zugleich. Im Rückblick auf das vergangene Jahr, kann ich diese Gefühle noch stärker bestätigen. Vor allem Letzteres: Die Befreiung.
Entscheidungen treffen befreit
Vielleicht kennst du das auch: Da ist eine Entscheidung in deinem Kopf – es muss nicht einmal eine große Entscheidung sein, vielleicht geht es nur um deine Essenswahl im Restaurant – die in naher Zukunft getroffen werden muss, aber dennoch schiebst du sie immer weiter vor dir her. Manchmal merkt man, wie sehr dieses „vor sich herschieben“ einen belastet, aber dennoch ignoriert man es oft einfach. Es ist einem nicht bewusst, wie viel freier und besser man sich fühlen würde, wenn diese Entscheidung erst einmal getroffen ist. Keine belastenden Gedanken mehr, die ständig wieder vor dem geistigen Auge auftauchen.
So war es also auch mit dieser, für mich lebensverändernden Entscheidung. Als sie erst einmal getroffen war, wandelte sich jede Menge ins Positive. Mit so viel Umbruch hatte ich im Vorhinein niemals gerechnet. Natürlich war mir klar, dass sich etwas ändern würde, aber dennoch war die Angst da, dass dieses „etwas“ mehr negative als positive Seiten mit sich bringen würde. Dennoch überwog bereits im Moment des Abrasierens, tief in mir drin der positive Blick in die Zukunft, wenngleich meine Tränen währenddessen anderes vermuten lassen. Doch wie sagt man so schön „alte Zöpfe“ müssen abgeschnitten werden und Neuem weichen. In meinem Fall waren es keine Zöpfe, sondern Haarbüschelchen, aber dennoch fühle ich diese Botschaft sehr.

Die Kontrolle liegt wieder bei mir
Die Kontrolle, die ich dank diesem Schritt wieder über mein Leben gewonnen habe, ist unbezahlbar. Davor sah ich oft mit einem mulmigen Gefühl in den Spiegel. Jedes Haare waschen wurde zur Qual, weil ich dabei immer weinen musste und der Schmerz so tief ging. Die Angst, dass immer mehr ausfallen würde. Die Verzweiflung, dem Ganzen so hilflos ausgeliefert zu sein und keine Kontrolle mehr zu haben, wie mein Erscheinungsbild in der Zukunft aussehen wird. All dem setzte ich selbst ein Ende – und zwar ein gutes! Es ist so erleichternd, nicht mehr tagtäglich traurig in den Spiegel zu sehen und daran erinnert zu werden, wie machtlos ich angeblich bin. Nicht mehr jeden Tag Angst davor zu haben, neue Stellen zu entdecken. Ich kann mich betrachten, ohne dass ich eine kranke Person sehe. Das bin jetzt ich. Dieser Abschnitt gehört jetzt zu meinem Leben und es wird einen Grund dafür geben.
Der „Worst Case“ führte zu weniger innerem Stress
Nachdem dann meine schlimmste Befürchtung eingetreten war – das Verlieren meiner Wimpern – fiel eine unglaublich schwere Last von mir. Es konnte nicht mehr schlimmer werden und genau das beruhigte mich auf ironische Art und Weise. Ich kämpfte ab diesem Moment an nicht mehr gegen die fortschreitende Zeit, sondern konnte das Hier und Jetzt endlich annehmen. Es entschleunigte mich, denn vorher waren da so viele Stimmen in meinem Kopf „Was muss ich nur anders oder besser machen, damit bloß nicht noch mehr Haare ausfallen, damit ich es endlich stoppen kann“. Ich hatte solch eine Angst, mich nicht mehr weiblich zu fühlen, wenn mich auch noch meine Wimpern verlassen. Aber dem ist nicht so. Ich habe manchmal sogar das Gefühl, dass ich mich und meinen Körper nun viel mehr akzeptieren kann. Dass ich weniger hart mit mir ins Gericht gehe und wesentlich mehr Verständnis für mich selbst und meine Bedürfnisse entwickle. Nun, wo mein befürchteter „Worst Case“ eingetreten ist, kämpfe ich nicht mehr gegen das Ausfallen weiterer Haare, sondern für das Sprießen von neuen. Dabei ist mir bewusst, dass es dauern wird und ich meinem Körper Zeit geben muss. Aber ich unterstütze ihn bei seiner Genesung und weiß, dass ich irgendwann auf diese Zeit zurück blicken werde und stolz auf mich sein kann, diese gemeistert zu haben. Ich bin dankbar für dieses Urvertrauen in ein „gesundes Ich“, doch ich weiß auch, dass ich mir die Wahrheit dessen bereits selbst etliche Male bewiesen habe. So konnte ich bereits meinen Reizdarm und die Multiple Sklerose, entgegen aller ärztlichen Meinungen hinter mich bringen. Bei dem Gedanken an die schwere Zeit, in der die MS und starke Bauchschmerzen mein Leben schmerzhaft bestimmten, wird mir klar wie froh ich bin, dass Haarausfall immerhin keine Schmerzen (bis auf die seelischen..) hervorruft.
Nun ist es Normalität
Mit der Zeit wird es ganz einfach zur Normalität. Manchmal kann ich mich nur schwer daran erinnern, wie es damals, mit voller Haarpracht war. Auch mein nahes Umfeld hat sich daran gewöhnt und ich komme mir niemals komisch vor. Für alle ist es normal und ich werde so geliebt wie ich bin, dafür bin ich unglaublich dankbar! So wird auch einem selbst bewusst, dass man liebenswert ist und das dieser Fakt nicht darauf beruht, wie wunderschön die Haare gerade liegen, wie toll das Makeup sitzt oder die Wimpern aussehen. Die äußere Erscheinung ist selbstverständlich nicht unwichtig und wir möchten uns alle wohlfühlen (das ist auch gut so!). Doch im Endeffekt ist das was bleibt, unsere Seele, unser Charakter und das Miteinander, was uns ausmacht. Mir hat es definitiv geholfen, einige früher Zweifel aus dem Weg zu räumen und die Dinge anders zu sehen. Manchmal blicke ich in den Spiegel – mit dem Wissen, dass ich komplett anders als früher aussehe – und feiere meinen Mut, meine Entscheidung und mich selbst. Das muss schließlich auch mal sein! Gibt ja oft genug diese Tage, an denen man das ganz und gar nicht fühlt.
Außerdem gefällt mir der Gedanke, dass ich rein theoretisch jeden Tag anders aussehen könnte. Dass mir die unglaubliche Auswahl an Perücken zu Füßen liegt und ich mir aussuchen kann, wie meine Haare aussehen sollen. Das wünscht sich wohl so manche Frau, oder etwa nicht? Trage ich Glatze, wirken viele Outfits komplett anders als mit Haaren – und manchmal überzeugt mich der Glatzen-Style definitiv mehr!
Wie ich bereits in diesem Artikel ausgiebig geschildert habe, hat das Erscheinungsbild auch einschneidende Auswirkungen auf zwischenmenschliche Beziehungen im Alltag.
Es haben mich aufgrund des Videos auf Instagram und Facebook viele Nachrichten von Frauen erreicht, die ebenfalls unter Alopecia leiden und furchtbare Angst davor haben, all ihre Haare zu verlieren. Bei einigen ist das bereits eingetreten und sie haben große Schwierigkeiten damit umzugehen. Diese Nachrichten zeigen mir, dass es richtig war, meine Krankheit mit allem drum herum öffentlich zu machen. Ich habe so die Möglichkeit anderen zu helfen, für sie da zu sein, zu unterstützen und ihnen die Angst zu nehmen. Das wiederum gibt der Krankheit auf komische Art und Weise einen „Sinn“ und mir die Kraft, weiterzumachen. Dieser Beitrag ist ganz besonders an diese genannten Personen gerichtet – Du bist stark, lass dich nicht unterkriegen und bitte gib nicht auf! Wenn du in dieser schwierigen Zeit Unterstützungen benötigst, melde dich gerne bei mir! Auch, wenn dich mein Ansatz für eine erfolgreich wirksame Therapie, ohne schulmedizinische Medikamente interessiert.
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Hallo Sophia,
Wieder mal, wie schon so oft, ein toller Artikel. Diesmal über die „Glatze“ . Du bist so stark und ich freue mich über viele neue Artikel. Du hast eine Art zu schreiben, man kann gar nicht aufhören zu lesen. Und das bei mir, die eigentlich keine Leseratte ist. Ich bin so glücklich zu sehen, wie stark und glücklich du bist. Freue mich auf das Wiedersehen mit dir und drücke dich ganz feste 😘